Selbstbeherrschung

deutsch schularbeit: Problemarbeit_Danke Adi für deine Verbesserung

Sehr geehrter Herr Professor!
Weil ich als Nichtautofahrer zu wenig Ahnung vom Thema „City-Maut“ habe, bitte ich Sie, mir zu erlauben, ein anderes Thema zu wählen.
Zu Ihrem Text „Richtlinien für das Verfassen einer Problemarbeit" hätte ich ein paar Anmerkungen zur Frage, ob man seine Gefühle immer beherrschen soll.
Bevor ich meine Gedanken zu Papier bringe, habe ich einige Fragen an Sie:
  • Was meinen Sie, wie man seine Gefühle beherrschen soll?
  • Wie soll man seine Gefühle zeigen und wie kontrollieren?
  • Soll man den gesamten Prozess von Empfinden, Wahrnehmen, Denken, Handeln und Bewusstsein (der Buddhismus nennt das auf Sanskrit die 5 Skandhas) kontrollieren oder nur einige Glieder zeigen, also äußern?
  • Was soll man beherrschen: nur das Erscheinen der Gefühle oder auch die Hintergründe?
  • Hängt diese Beherrschung von irgendeiner weltanschaulichen Einsicht ab?
Nach meiner eigenen Erkenntnis ist echte Beherrschung ein Ergebnis aus Bewusstsein und Konzentration und nicht von erzwungener Unterdrückung. Mit der Zeit entwickeln sich die beiden Fähigkeiten und werden zu einer Gewohnheit, dabei werden Subjekt (Innenwelt) und Objekt (Außenwelt) zu einem untrennbaren Ganzen.
Weil echte Beherrschung von Konzentration und Bewusstheit nicht getrennt ist, kann man in diesem Zusammenhang nicht die einzelnen Glieder analysieren und erforschen. Die Gefühlswelt der Menschen ist sehr kompliziert und in den meisten Fällen kann man nicht so leicht unterscheiden, was die Ursache und was die Wirkung ist wie beim Kausalgesetz in der Naturwissenschaft.
Deshalb ist es gescheiter, manchen Situationen bloß positiv gestimmt zu begegnen und zunächst einmal zu schauen, wie die Sache sich entwickelt, statt sie sofort mit dem eigenen Gestaltungswillen einzuengen. Der verfrühte Definitionszwang einer Situation („woher kommt das“ oder „wohin geht es“, „wie war es“ oder „wie wird es sein“ usw.) verführt zu Fragen, die der ruhigen Entwicklung sowie einer Lösung entgegenstehen und damit auch die Gelassenheit unseres Lebens im Hier und Jetzt behindern. Genauso ist es nicht immer lustig, wenn man sich fragt, welche Rolle diese Beherrschung in unserem Leben spielt.
Nach mehr als zwanzig Jahren Meditation habe ich erfahren, dass sich das Subjekt selbst zu beherrschen versucht, um das Verhältnis zwischen Innen- und Außenwelt stabil zu halten. Für mich heißt Beherrschung also, sich selbst zu bewerten, zu kontrollieren, zu regulieren und sogar zu ändern. Wenn man sich selbst beherrscht, man kann nach Belieben festhalten oder loslassen. Man kann die Gefühle zeigen oder verbergen wie man will.
In meinen Augen bringt die Selbstbeherrschung mehr Vorteile als Nachteile, weil die Einflüsse der Außenwelt nicht mehr so sehr den eigenen Weg beeinträchtigen, d.h. die Abhängigkeit von der Umwelt wird reduziert. Man steht mehr oder weniger auf seinen eigenen Füßen, wird also selbstständiger. In den zwischenmenschlichen Beziehungen wird man nicht mehr so leicht enttäuscht, fühlt sich nicht so rasch beleidigt usw. Durch Gefühlsbeherrschung kann man auch mit den anderen in der Gesellschaft harmonisch leben. Man kann sich selbst auf Situationen rascher einstellen, sie leichter ausbalancieren und besser irgendwelche Konflikte zwischen unterschiedlichem Kräften überstehen. Man kann auch leichter extreme Reaktionen und Taten, die den Mitmenschen körperlich oder geistig schaden, hintanhalten.
Am wichtigsten ist, dass die Selbstbeherrschung das Subjekt in eine stabile Lage bringt und so im Laufe der Zeit einen hochwertigen Charakter entstehen läßt. Sie steigert das Selbstwertgefühl, das Selbstvertrauen, die Bewusstheit und erhöht die Konzentration auf ein gewähltes Ziel. Außerdem kann man mit Selbstbeherrschung magische Fähigkeiten erlangen.
Natürlich gibt es auch Nachteile, so wie jede Münze zwei Seiten hat. Wir können einige Beispiele dafür nennen:
Um bestimmte Fähigkeiten zu erlangen, muss man einen bestimmten Preis zahlen. Der Weg, auf dem man die Gefühlsbeherrschung erreicht, ist ziemlich lang. Man ist andauernd mit sich selbst beschäftigt. Man muss sich selbst Grenzen setzen, um sich von der Außenwelt abzugrenzen. Mit viel Geduld und intensiver Übung erhöht man langsam die Achtsamkeit. Und auch hierbei bestehen Gefahren:
Weil man lange mit sich selbst beschäftigt ist, entsteht eine neue Gewohnheit. Man lebt schließlich nur mehr mit seiner eigenen, in sich geschlossenen Innenwelt. Man hat sich selbst isoliert und lebt von der Außerwelt getrennt. Das Empfinden entwickelt sich nicht weiter. Der Informationsfluss von außen nach innen wird wie durch eine Mauer verlangsamt. Man ist im eigenen Käfig gefangen. Die eigenen Regeln, die man für sich selbst definiert hat, sind zum Gefängnis geworden. Man ist nicht mehr frei.
Übrigens ist Selbstbeherrschung nicht wie ein Talent, das man besitzt. Meistens beruht es auf Gründe, die mitunter einem selbst verborgen sind, seien es religiöse Ursachen, beruhen sie im Denksystem usw. Im Gefühlsbereich spielt natürlich die Moral auch ein wichtige Rolle. Schon durch bloßes Einhalten der Geboten kann man die Selbstbeherrschung verstärken. Aber dies erzeugt nur Abhängigkeit, sei es von einer Gottesvorstellung, einer Theorie oder von bestimmten Organisation wie etwa Sekten. Das sind die Nachteile, die ich selber erlebt habe.
Für mich gibt es daher folgende Ziele im Leben:
  • loszulassen, wenn es möglich ist
  • frei zu leben, wenn es möglich ist
  • offen zu sein, wenn es möglich ist
Um diese Ziele zu erreichen, ist die Selbstbeherrschung eine wichtige Bedingung. Doch nun komme ich wieder zurück zu den Fragen: Wie soll man das Leben beherrschen und auf welche Art soll man es beherrschen?
Zum Schluss stelle ich meine Erfahrungen in einer Formel dar:
Gefühlsbeherrschung = nach außen Positives zeigen + nach Innen gut regulieren
Herzlichen Dank dafür, dass Sie Ihre Zeit für diesen Text aufgewendet haben.
 
TRUONG Huu Thien

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  • Die Selbstbeherrschung ist die Wurzel aller Tugend.
    - Samuel Smiles